Seit Anfang 2021 entwickelten sich chinesische Aktien durchgängig enttäuschend. Dabei hat sich der Wert des MSCI China mehr als halbiert. Die Underperformance chinesischer Aktien setzte sich auch fort, nachdem China gegen Ende des letzten Jahres die Pandemie unter Kontrolle gebracht hatte. Die meisten globalen Volkswirtschaften erlebten nach Corona einen Konsumboom, der in China ausblieb.
Viele Staaten verzeichneten während der Pandemie aufgrund der weitreichenden Stützungspakete eine beträchtliche Bilanzverlängerung, während die chinesische Regierung während der Pandemie keine nennenswerten Konsumanreize ausreichte, sondern stattdessen den Abbau der massiven Verschuldung weiter vorantrieb.
Abbildung 1: 12-Monats-Performance nach Regionen
Bemerkbar macht sich das vor allem am angeschlagenen Immobilienmarkt des Landes. Der Anteil der Versorgungskette des Immobilienmarktes am chinesischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) beläuft sich auf mehr als 20 %.
Seitdem die Bedingungen Anfang 2021 verschärft wurden, sind die Immobilientransaktionen jedoch um 30 bis 40 % gegenüber dem Höchststand gesunken und liegen nun wieder auf einem Niveau, das zuletzt vor einem Jahrzehnt erreicht wurde. Die Zahl der Baubeginne ist seit dem Höchststand um 60 % zurückgegangen, was die chinesische Wirtschaft erheblich belastet hat.
Abbildung 2: Der Immobilienmarkt ist weiterhin angeschlagen
Stand: 20. November 2023. E=Schätzung. Die tatsächlichen Ergebnisse können erheblich von den Schätzwerten abweichen.
Quellen: Linke Grafik: Haver Analytics/China National Bureau of Statistics/Markit. Weitere Angaben zu diesen Informationen von Markit finden Sie auf der Seite „Zusätzliche Angaben“. Rechte Grafik: Haver Analytics/China National Bureau of Statistics.
Zweifellos steht China vor strukturellen Herausforderungen, darunter die hohe Verschuldung des Immobilienmarktes und der Kommunen, die anhaltenden geopolitischen Unsicherheiten und eine ungünstige demografische Entwicklung. Dennoch ist die aktuelle Verlangsamung weitgehend zyklisch bedingt. Aus historischer Sicht ist die aktuelle Phase keineswegs ungewöhnlich. China durchläuft alle drei bis vier Jahre sehr kurze Mini-Wirtschaftszyklen. Die letzte Schuldenabbauphase erlebte China in den Jahren 2012 bis 2015, die in einem erheblichen Einbruch an den chinesischen Aktienmärkten mündete. Auf den Abschwung folgten an den Aktienmärkten fünf starke Performancejahre, in denen der MSCI China um ganze 160 % zulegte und damit alle großen Märkte, beispielsweise den S&P 5002, übertraf.
China macht sowohl in der Fertigung als auch in der Wertschöpfungskette schnelle Fortschritte. Die Ausgaben Chinas für Forschung und Entwicklung (F&E), gemessen als prozentualer Anteil am BIP, liegen heute höher als in der Europäischen Union. Dadurch hat sich China in vielenaufstrebenden Branchen eine starke Führungsposition verschafft. China ist vor allem bekannt für die Montage von Mobiltelefonen und Computern. Es wird jedoch erwartet, dass China in diesem Jahr mehr Autos und erneuerbare Energien exportieren wird als Computer und Mobiltelefone.
Abbildung 3: Chinas Export gewinnt außerhalb der USA Anteile.
Allgemein geht man davon aus, dass China im Jahr 2023 weltweit die Nummer 1 bei den Autoexporten sein wird. Dies ist eine beachtliche Wende, wenn man bedenkt, dass die chinesischen Automobil-Erstausrüster bis vor drei bis vier Jahren noch darum kämpfen mussten, sich am eigenen Binnenmarkt durchzusetzen. Verändert hat sich die Dynamik vor allem durch den zunehmenden Umstieg auf Elektrofahrzeuge (EV). Denn damit wurde die Schwäche der chinesischen Autobauer bei Verbrennungsmotoren durch ihre Stärke bei Batterieantrieben verdrängt. Doch die Transformation reicht weit über die Automobilbranche hinaus. Ähnliche Muster beobachten wir bei Baumaschinen und Geräten für die Garten- und Forstwirtschaft, in denen chinesische Unternehmen im Zuge der Elektrifizierung zunehmend Marktanteile erobern.
Der Trend zur Diversifizierung und Neuausrichtung der Lieferketten stellt viele chinesische Wirtschaftszweige vor Herausforderungen, insbesondere diejenigen, die stark von der US-Nachfrage oder US-Technologie abhängig sind. Doch in vielen aufstrebenden Branchen, darunter grüne Technologien, Biotechnologie und mobiles Internet, sind viele chinesische Unternehmen sowohl in Bezug auf ihre Größe als auch technologisch heute führend. Auch wenn sie in bestimmten Industrieländern aufgrund der Unsicherheiten vor Herausforderungen stehen, glauben wir, dass ihre globale Wettbewerbsfähigkeit und Präsenz weiter zunehmen werden.
Im Zuge der Neuausrichtung der Lieferketten ist zudem die Stärkung der lokalen Produkte ein wichtiges Thema, das sich deutlich beschleunigt hat. Für viele Produkte ist China weltweit der größte Markt. Aus China kommt beispielsweise 60 % der weltweiten Nachfrage nach Industrierobotern und 30 bis 40 % der Nachfrage nach analogen Halbleitern. Diese Märkte waren früher stark von ausländischen Lieferanten abhängig. Mittlerweile sind inländische Marktführer auf dem Vormarsch, die den Abstand zu ausländischen Unternehmen rasch verringern.
Abbildung 4: MSCI China Index vs. Li Keqiang Index (basierend auf einer Kombination verschiedener realwirtschaftlicher Kennzahlen für China)
In vielen traditionellen Branchen beobachten wir seit einiger Zeit eine diszipliniertere Investitionspolitik und eine stärkere Branchenkonsolidierung. China ist bekannt dafür, Überkapazitäten zu exportieren. Auch wenn das für einige aufstrebende Branchen auch heute noch gilt, haben sich die Dinge in einigen ausgereifteren Sektoren geändert. Seit den angebotsseitigen Reformen im Jahr 2016 sind die Investitionsausgaben in einigen Bereichen, darunter Kohle, Stahl, LCD-Panels oder Bier, erheblich gesunken, was die Renditen und die Rentabilität in diesen Segmenten stützt. Die Unternehmen in diesen Branchen haben die Investitionsphase beendet und stehen nun am Beginn der „Erntephase“, in der sich die Margen und Cashflows stark erholen.
Abbildung 5: Höhere F&E-Ausgaben haben die Wettbewerbsfähigkeit China verbessert
Stand: 30. Juni 2023.
* Bis 2012 keine Daten für Solarzellen und bis 2020 keine Daten für Lithiumbatterien verfügbar.
Quellen: General Administration of Customs, Morgan Stanley Research Estimates (E).
Abbildung 6: Fokusverlagerung vom Export auf den Konsum
Während sich der chinesische Konsum nach der Pandemieunerwartet schleppend erholt, ist der strukturelle Trend keineswegs gebrochen, sondern weiterhin intakt. Die Kaufkraft der chinesischen Verbraucher ist gestiegen. Das Pro-Kopf-Haushaltseinkommen hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. Selbst in einem relativ schwachen Makro-Umfeld ist das Einkommen der privaten Haushalte von Januar bis September 2023 um 6,5 % gestiegen. Der Anteil des Konsum am chinesischen BIP-Wachstum belief sich im dritten Quartal 2023 auf 95 %.
Auf China entfiel 30 % der globalen Industrieproduktion, aber nur 14 % der weltweiten Konsumnachfrage. Die Konsumquote in China beträgt nur 38 % des BIP, gegenüber 50 bis 70 % in anderen großen Volkswirtschaften. Die aktuellen geopolitischen Spannungen könnten dazu beitragen, den Umstieg auf eine stärker auf den Konsum ausgerichtete chinesische Wirtschaft zu beschleunigen. Wir glauben, dass dies dazu beitragen wird, dass die Handelsbeziehungen ausgewogener werden als bisher.
Trotz der schwachen Wirtschaft sollten sich Anleger auf Unternehmen konzentrieren, die ihre Ertragskraft kontinuierlich steigern können. Wir sehen Anlagechancen beispielsweise in den Sektoren Technologie und Industrie, die die industrielle Modernisierung und den grünen Wandel vorantreiben. In traditionellen Wirtschaftszweigen, beispielsweise in den Bereichen Schiffsbau, Offshore-Öldienste oder Kupfer, erwarten wir steigende Renditen auf das investierte Kapital, gestützt auf eine positive Angebots-/Nachfragedynamik.
Zudem weisen wir die Anleger darauf hin, dass die Performance im Index die tatsächlichen Renditepotenziale chinesischer Aktien nicht widerspiegelt. Während sich der MSCI China in den letzten zehn Jahren kaum bewegt hat, haben die 20 wichtigsten A-Aktien, in denen ausländische Anleger am stärksten investiert sind, den Index deutlich übertroffen. Der chinesische Markt weist nach wie vor erhebliche Ineffizienzen auf. Rund 70 % des Handelsvolumens entfallen auf Privatanleger und die durchschnittliche Haltedauer beträgt ungefähr 16 Tage. Die Folge sind eine hohe Umschlagsgeschwindigkeit und erhebliche Fehlbewertungen, die für Anleger interessante Chancen eröffnen.
Die chinesischen Aktienmärkte zeichnen sich zudem dadurch aus, dass eine erhebliche Diskrepanz besteht zwischen den sich bietenden Chancen und der Vermögensallokation der Anleger. Der chinesische Markt umfasst mehr als 6.000 Aktien, von denen lediglich etwa 1 % Mega-Caps sind,-die eine Marktkapitalisierung von mehr als 30 Mrd. US-Dollar aufweisen. Diese 1 % Aktien haben im MSCI China-Index jedoch eine Gewichtung von über 50 %. In der Folge investieren die gängigen China-Fonds durchschnittlich mehr als die Hälfte ihres Vermögens in lediglich 1 % des Marktes. Die verbleibenden 98 bis 99 % des chinesischen Aktienuniversums sind offenbar noch zu wenig analysiert. Wir sehen jedoch jenseits der populären Large-Caps enorme Alpha-Chancen.
Nachdem die chinesischen Aktienmärkte drei Jahre lang Verluste verzeichneten, sind Überzeugung und Geduld der Anleger auf die Probe gestellt. Wir glauben jedoch, dass die lange Abwärtsphase Gelegenheiten schafft, um zu attraktiven Kursen in einige herausragende chinesische Unternehmen zu investieren. Man sagt, die besten Anlagechancen eröffnen sich in besonders schwierigen Phasen. Wir glauben, dass sich die chinesischen Aktienmärkte genau an diesem Punkt befinden.
1 Source: K. Rogoff, Project Syndicate, August 17, 2023.
2 29. Februar 2016 bis 29. Januar 2021. Wertentwicklungen in der Vergangenheit sind kein verlässlicher Indikator für zukünftige Erträge.
3 Schätzungen von T. Rowe Price, Stand: 30. September 2023. Die tatsächlichen Ergebnisse können erheblich von den Schätzwerten abweichen.
4 Die statistischen Angaben in diesem Abschnitt beruhen auf Schätzungen von T. Rowe Price, Stand: 30. September 2023. Die tatsächlichen Ergebnisse können erheblich von den Schätzwerten abweichen.
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