August 2022 / INVESTMENT INSIGHTS
China: Trotz Unsicherheit am Ball bleiben …
… und gute Anlagechancen erkennen
Wir glauben, dass sich die China Evolution Equity-Strategie, die ich als Portfoliomanager verwalte, von den üblichen Strategien für chinesische Aktien vor allem dadurch abhebt, dass wir das gesamte chinesische Aktienuniversum nutzen – mit Ausnahme der 100 größten Börsenunternehmen (Mega-Caps).1 Am chinesischen Aktienmarkt sind etwa 6.000 Unternehmen gelistet, von denen lediglich knapp 100 eine Marktkapitalisierung von über 30 Mrd. US-Dollar aufweisen. Viele der klassischen China-Strategien investieren allerdings bis zu 60 % ihres Portfolios in diese Mega-Caps. So konzentrieren sich etwa 60 % der Investments offenbar auf einen sehr kleinen Teil des Anlageuniversums, der gemessen an der Gesamtzahl der Unternehmen weniger als 2 % ausmacht.2 Wir glauben, dass dies im Widerspruch steht zur eigentlich gewünschten Diversifizierung und Nutzung der ganzen Breite eines Anlageuniversums.
Das wichtigste Anlageziel der China Evolution Equity-Strategie – und darin unterscheiden wir uns von Mainstream-Produkten – besteht darin, die etwa 98 % der Anlagechancen zu nutzen, die weitgehend übersehen werden. In anderen Worten besteht ein wesentliches Merkmal unseres Konzepts darin, dass wir eben nicht auf die 100 größten chinesischen Mega-Caps abzielen. Ein zweites wesentliches Herausstellungsmerkmal unseres Konzepts besteht darin, dass wir einen ganzheitlichen Ansatz unabhängig vom Anlagestil verfolgen. Wir beschränken uns also weder auf Wachstums- noch auf Substanzaktien, sondern suchen potenziell fehlbewertete Aktien von fundamental starken Unternehmen. Dies tun wir durch ein effizientes Verfahren zum Aufspüren solcher Unternehmen, basierend auf Research und Mustererkennung.
Ein drittes Merkmal unserer Strategie ist der starke Fokus auf die Alpha-Generierung. Wir glauben, dass bei den rund 98 % des Universums, die wir abdecken, relativ viele Fehlbewertungen zu finden sind. Diese versuchen wir, mit einem flexiblen Ansatz zu identifizieren.
Frage #1: Die chinesischen Aktienmärkte haben sich seit Mai offenbar wieder stabilisiert. Hat sich die Anlegerstimmung gegenüber China also wieder zum Besseren gedreht?
Wenn wir uns die letzten Quartale anschauen, kann man sagen, dass über die chinesischen Aktienmärkte ein „perfekter Sturm“ gezogen ist. Peking hat schon im zweiten Halbjahr 2020 begonnen, die Liquidität zu straffen – sehr viel früher als der Rest der Welt. Dazu kam eine unerwartete Regulierungswelle, die bis 2021 über die Märkte rollte.
Anfang 2022 kam dann der Ausbruch der neuen Omikron-Virusvariante, der für die strikte Null-Covid-Strategie der Regierung eine große Herausforderung darstellte. Gleichzeitig löste der russische Einmarsch in der Ukraine erhebliche geopolitische Sorgen aus.
In den letzten ein bis zwei Monaten hat sich die Lage allerdings in vielerlei Hinsicht verbessert. Vor allem hat die chinesische Zentralbank ihren Fokus von einer Straffung hin zu einer Wachstumsunterstützung verlagert. Daher gehen wir davon aus, dass sich das Liquiditäts- und Regulierungsumfeld in den kommenden Quartalen wieder entspannt.
Auch hat sich die pandemische Lage verbessert, und die Lieferkette hat sich weitgehend normalisiert. Zwar kommt es in einigen Städten weiterhin zu kleineren Corona-Ausbrüchen, die sich unweigerlich auf die lokalen Dienstleister auswirken. Doch glauben – und hoffen – wir, dass eine erneute größere Unterbrechung der Lieferkette vermeidbar ist.
Nicht zuletzt lassen die stark gestiegenen Rohstoffpreise, die die Gewinnspannen vieler chinesischer Industrieunternehmen unter Druck gesetzt haben, allmählich nach. Dies dürfte das Gewinnwachstum von chinesischen Unternehmen am mittleren und unteren Ende der Wertschöpfungskette stützen.
Die chinesischen Aktienmärkte haben nach einem Tiefstand Mitte März wieder Boden wettgemacht: Der MSCI China verzeichnete seitdem ein Plus von 9,2 % – gegenüber einem Verlust von 2,2 % im MSCI AC World vom 15. März 2022 bis zum 10. August 2022.3 Trotz dieser Outperformance habe ich allerdings nicht den Eindruck, dass die Anleger den chinesischen Markt plötzlich wieder übermäßig optimistisch einschätzen. Ich glaube eher, die Anleger gehen davon aus, dass das Schlimmste überstanden ist und die Wirtschaft im zweiten Halbjahr wieder anziehen könnte.
Frage #2: Glauben Sie, angesichts des Lichts am Ende des Tunnels, dass die schlechten Nachrichten am chinesischen Markt weitgehend eingepreist sind?
Die chinesische Wirtschaft hat die starke Verlangsamung, die wir im ersten Halbjahr 2022 beobachten konnten, offenbar hinter sich gelassen. Auch wenn wir keine weitreichenden Stützungsmaßnahmen erwarten, glauben wir doch, dass sich die Lage in den kommenden Quartalen verbessern wird. Die Frage ist nur, in welchem Maße sie sich verbessern wird.
Wichtig ist, dass China meiner Meinung nach in einer einzigartigen Position ist, was den Konjunkturzyklus angeht. Laut Daten aus Peking betrug die Inflation im Juni lediglich rund 2,5 %. Die Zentralbank hat also genügend Spielraum für eine Lockerung – anders als die meisten anderen großen Volkswirtschaften, die sich mitten im Straffungszyklus befinden, um die Inflation zu bekämpfen. Schließlich hat die Teuerungsrate mittlerweile den höchsten Stand seit Jahrzehnten erreicht. Dieser Unterschied könnte China gegenüber anderen Ländern tatsächlich einen Vorsprung verschaffen.
Dass sich die chinesische Wirtschaft derzeit besser entwickelt als in anderen Ländern kann unter anderem auf die chinesische Coronastrategie zurückgeführt werden: In der ersten Pandemiewelle haben die meisten Länder auf die Probleme, die im Wesentlichen auf der Angebotsseite auftraten, reagiert, indem sie die Nachfrage insgesamt angekurbelt haben – rückblickend ein sicheres Rezept, um die Inflation in die Höhe zu treiben. Hingegen hat China vor allem die Unternehmenssteuern gesenkt und sich auf den Schutz von Arbeitsplätzen konzentriert. So konnten Lieferketten und Produktivität aufrechterhalten werden – allerdings zum Preis einer relativ schwachen Nachfrage.
Für die Anleger kommt es meiner Meinung nach gar nicht so sehr darauf an, ob China ein festgelegtes Wachstumsziel für das Bruttoinlandsprodukt von 5,5 % erreichen wird. Vielmehr geht es darum, ob sich die Wirtschaft im weiteren Sinne verbessert oder verschlechtert. Der chinesische Aktienmarkt zeichnet sich durch eine enorme Breite und Tiefe aus. Und solange sich die Wirtschaft stabilisiert, bietet China eine ganze Fülle an Bottom-up-Anlagechancen.
Frage #3: Kommen wir auf Ihr Portfolio zu sprechen: Welche Umschichtungen haben Sie 2022 vorgenommen?
Als Bottom-up-Investoren richten wir unser Portfolio nicht danach aus, wie wir das Makro-Umfeld einschätzen. Stattdessen analysieren wir die Gesamtheit des Anlageuniversums und versuchen, die Aktien mit dem attraktivsten Risiko-Ertrags-Profil zu identifizieren. Dabei sehen wir drei Gruppen, die wir für vielversprechend halten.
Erstens gibt es eine Gruppe herausragender Unternehmen, die unseres Erachtens in den nächsten drei bis fünf Jahren einen Wertzuwachs von über 20 % erwarten lassen. Wir haben die massive Verkaufswelle, die zu Jahresbeginn über die Märkte schwappte, genutzt, um uns an einigen von ihnen zu attraktiven Kursen zu beteiligen. Dazu zählen ein führendes EV-Startup-Unternehmen, ein Online-Personalvermittler und ein Betreiber von Einkaufszentren.
Die zweite Gruppe umfasst die „nichtlinearen Wachstumsunternehmen“, wie wir sie nennen. Das sind Unternehmen, die unseres Erachtens aufgrund von Produktzyklus- oder Betriebsverbesserungen erhebliches Gewinnwachstum erwarten lassen. Zu dieser Gruppe zählt zum Beispiel ein Hersteller von Auto-Displays und ein Verpackungsproduzent für die Pharmabranche. Wir glauben, dass beide Unternehmen von einem starken Anstieg der durchschnittlichen Verkaufspreise aufgrund von Produktverbesserungen profitieren werden.
Zur dritten Gruppe gehören fest etablierte Unternehmen, die aufgrund der höheren Rohstoffpreise kurzfristig unter Margendruck stehen, der unseres Erachtens jedoch in den nächsten ein bis zwei Jahren wieder nachlassen wird. Beispiele dafür sind ein führender chinesischer Gasverteiler und ein Hersteller von Instantnudeln.
Wir haben uns aber auch von einigen Positionen getrennt, insbesondere von Beteiligungen an Unternehmen, die von der Pandemie und den Lieferkettenstörungen profitiert haben. Ihre Gewinnspannen befinden sich auf einem Mehrjahreshoch, das kaum zu halten sein wird. Beispiele hierfür sind bestimmte Entwickler von integrierten Schaltkreisen, Containerschifffahrtsunternehmen und Kleingerätehersteller.
Wir haben aber auch Anpassungen vorgenommen, um das Portfolio an die sich verändernden Entwicklungen anzupassen. So könnten beispielsweise der Strukturwandel am Immobilienmarkt und der demografische Wandel (niedrige Geburtenrate) langfristige Folgen für einige unserer Beteiligungen haben, weshalb wir entsprechende Umschichtungen vorgenommen haben.
Frage #4: Glauben Sie, dass der chinesische Markt für Elektrofahrzeuge (EV) erhebliche Anlagechancen eröffnet?
Der EV-Markt könnte in den nächsten fünf bis zehn Jahren eine wichtige Rolle bei der Modernisierung der chinesischen Industrie spielen. Der Automobilmarkt Chinas ist sieben- bis achtmal größer als der Smartphone-Markt4, und die beiden Branchen weisen Parallelen auf. Doch wenngleich China der größte Automobilmarkt der Welt ist, hatten die lokalen Erstausrüster (OEMs) bei Verbrennern doch nur einen Marktanteil von unter 40 %. Am EV-Markt jedoch sind die chinesischen Unternehmen mit einem Anteil von über 80 % am lokalen Markt in einer deutlich stärkeren Position.5 Wir glauben, dass chinesische Autohersteller mittel- bis langfristig auch auf den globalen EV-Märkten eine bedeutende Rolle spielen könnten.
Dies bedeutet enorme Chancen für die gesamte Lieferkette, also für Batterie- und Autoteilehersteller, Ausrüstungslieferanten und Anbieter von Automatisierungs- und Softwarelösungen, um nur einige zu nennen.
Unser Fokus im EV-Bereich liegt neben ausgewählten OEMs vor allem auf Autoteileherstellern mit starker Wettbewerbsposition, deren Produkte das Potenzial haben, verstärkt in den Fahrzeugen verbaut zu werden. So dürfte beispielsweise der Anteil an Autoglas pro Fahrzeug in den nächsten Jahren um das Zwei- bis Dreifache steigen, angetrieben durch EV und Innovationen. Auch Auto-Displays spielen im EV-Fahrzeugbau eine zunehmend wichtigere Rolle. Zudem beobachten wir in diesem Bereich eine Marktkonsolidierung, da die Bildschirme in den Fahrzeugen immer größer werden und hohe Spezifikationen erfüllen müssen. Zudem halten wir Autorelays-Hersteller für vielversprechend, da die für E-Fahrzeuge erforderliche hohe Spannung für eine Verdopplung oder Verdreifachung der durchschnittlichen Verkaufspreise sorgen kann.
Zudem wird erwartet, dass sich die Wettbewerbslandschaft durch die Umstellung auf Elektrofahrzeuge rasant verändern wird. Ein Beispiel: Ein führender chinesischer Getriebehersteller hatte lediglich einen Marktanteil von 8 % am traditionellen Markt für Verbrenner. Da der EV-Markt jedoch weitaus präzisere und komplexere Herstellungsprozesse erfordert, werden die Eintrittsbarrieren erhöht. Vor diesem Hintergrund konnte der besagte Getriebehersteller seinen Marktanteil auf 50 % steigern und sich eine marktbeherrschende Stellung sichern.6
Frage #5: Was machen Sie, wenn eine Position in Ihrem Portfolio in die Riege der 100 größten chinesischen Mega-Cap-Aktien aufsteigt?
Die China Evolution Equity-Strategie zielt darauf ab, in einem führen Stadium in die potenziellen Gewinner von morgen zu investieren. Unternehmen, die exponentielles Wachstumspotenzial haben, sind wirklich selten. Wenn wir sie einmal gefunden haben, wollen wir natürlich investiert bleiben, um für unsere Kunden von hohen Kapitalzuwächsen zu profitieren. Wir müssen also nicht verkaufen, wenn die Unternehmen in unserem Portfolio in die Mega-Cap-Riege aufsteigen. Dennoch stellen wir unsere individuellen Beteiligungen regelmäßig auf den Prüfstand. Wenn wir eine Mega-Cap-Aktie im Portfolio behalten, müssen wir dafür gute Gründe sehen. Vor allem müssen unsere Erwartungen an die Rendite und die Wachstumsaussichten weiter erfüllt sein.
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September 2022 / INVESTMENT INSIGHTS