Dezember 2020 / MARKETS & ECONOMY
Der Optimismus an den Finanzmärkten mag gute Gründe haben, doch ich rate zur Vor
Ein schwaches Wachstum und ein angeschlagener Staatshaushalt dürften die USA vor Herausforderungen stellen.
Während die Vorbereitungen zur Amtsübergabe an Joe Biden in vollem Gange sind, haben die Risikomärkte nach einer turbulenten Achterbahnfahrt fast wieder Rekordniveaus erreicht. Dies mag erstaunen angesichts des überraschend knappen Wahlausgangs, der einen gespaltenen Kongress, einen Stillstand der Legislative und abgespeckte Konjunkturpakete erwarten lässt. Zugleich sind in Europa und in den USA die Corona-Fallzahlen erneut massiv gestiegen, weshalb die Wirtschaft vielerorts wieder in den Lockdown geschickt wurde. Wie lässt sich das Kursfeuerwerk also erklären? Und wie geht es weiter?
Das amerikanische Volk hat sich für einen demokratischen Präsidenten entschieden, der mit einem demokratischen Repräsentantenhaus und voraussichtlich einem republikanischen Senat regieren muss. Die Erfahrungen, die die USA in den letzten zehn Jahren mit gespaltenen Regierungen gemacht haben, lassen erwarten, dass es Joe Biden schwer haben wird, größere legislative Veränderungen auf den Weg zu bringen. Damit dürfte auch die geplante Erhöhung der Unternehmenssteuer vom Tisch sein, was die Risikomärkte als gute Nachricht feiern. Indes lautet die weniger gute Nachricht, dass die Corona-Stützungspakete aller Voraussicht nach lediglich in abgespeckter Form auf den Weg gebracht werden können und das steuerfinanzierte Infrastrukturprogramm gänzlich ausfallen dürfte.
Gute Anlegerstimmung – trotz drohender Lockdowns
Die Märkte haben sich offenbar auf die gute Nachricht konzentriert, dass es voraussichtlich keine Steuererhöhungen geben wird. Zugleich gehen die Anleger offenbar davon aus, dass sich die Wirtschaft in der Frühphase einer Konjunkturerholung befindet. Diese Annahme wurde zusätzlich durch die Bekanntgabe befeuert, dass der Impfstoff von Pfizer eine Wirksamkeit von 94% aufweist, woraufhin die Risikomärkte zu einer spektakulären Rally ansetzten.
Die durchwachsenen Daten und weitreichenden neuen Lockdowns infolge der zweiten Corona-Welle scheinen dem Optimismus der Anleger indes nichts anzuhaben. Ob sie damit richtig liegen, bleibt abzuwarten, aber im Moment – so die Argumentation – reagiert die Politik angemessen auf die Situation, während es unwahrscheinlich scheint, dass die zweite Welle einen Ausverkauf an den Finanzmärkten auslösen wird, wie es zu Jahresbeginn der Fall war. Zudem lassen die positiven Impfstoffnachrichten darauf hoffen, dass die zweite Corona-Welle auch die letzte sein wird.
Wenngleich diese Argumente durchaus berechtigt sind, lässt mich die Kombination aus der zweiten Corona-Welle einerseits und dem Optimismus an den Finanzmärkten andererseits innehalten. Für die Eurozone haben die Ökonomen ihre Wachstumserwartungen für das vierte Quartal 2020 bereits deutlich heruntergeschraubt, und ich glaube nicht, dass es den USA anders ergehen wird. Denn die amerikanischen Behörden äußern sich meines Erachtens etwas zu optimistisch und scheinen das Infektionsgeschehen deutlich zu unterschätzen. Die Annahme, dass die neuen Lockdowns schnell wieder aufgehoben werden könnten, sehe ich daher skeptisch. Denn das Wiederhochfahren der Wirtschaft während der Grippe-Hochsaison ist etwas völlig anderes als in den wärmeren Monaten. Sofern es darüber hinaus keine starke finanzpolitische Reaktion gibt, dürften die Verbraucher die Corona-Beschränkungen finanziell kaum so gut verkraften wie während des ersten Lockdowns.
Wenn Biden keine Steuererhöhungen durchsetzen kann, ist das unter dem Strich keine positive Nachricht
Ich glaube, dass die Kombination aus einer raschen Wachstumsverlangsamung, einer auf der Stelle tretenden Geldpolitik, einer zaghaften fiskalpolitischen Reaktion und der Tatsache, dass die Unternehmen schon seit einem Jahr darum kämpfen, sich über Wasser zu halten, eine gewisse Vorsicht rechtfertigt, die jedoch bei den Anlegern seit den US-Wahlen nicht erkennbar ist. Meiner Meinung nach wiegen die Folgeschäden, die ein Scheitern der fiskalpolitischen Pläne in den USA nach sich zieht, weit schwerer als die Tatsache, dass eine Erhöhung der Unternehmenssteuer voraussichtlich vom Tisch ist. Für die US-Wirtschaft sind das keineswegs gute Nachrichten, da die fehlenden zusätzlichen Steuereinnahmen den fiskalpolitischen Handlungsspielraum der Regierung erheblich einschränken – was letztlich auf Kosten des Wachstums gehen wird. Auch wenn letztlich alles gut gehen dürfte, ist das Risiko einer Double-Dip-Rezession im letzten Monat zweifellos gestiegen.
Außenpolitisch dürfte Joe Biden einen konventionelleren und berechenbareren Kurs fahren als sein Amtsvorgänger. Auch wenn die Spannungen zwischen China und den USA unter dem neuen Präsidenten anhalten dürften, könnte der von seinem Amtsvorgänger angezettelte Handelskrieg bald zu einer Randnotiz der Geschichte werden – was auf jeden Fall positiv zu bewerten ist.
Ermutigend ist außerdem, dass die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, China, offenbar wieder rund läuft. Die Erholung des Landes von der pandemiebedingten Wachstumsverlangsamung und seine Fähigkeit, mit den nachfolgenden Virusausbrüchen fertig zu werden, kann man nur als spektakulär bezeichnen. Wenngleich die chinesische Regierung der Wirtschaft nicht den Boden unter den Füßen wegziehen dürfte, wird sie zweifellos ihre Stützungsmaßnahmen schrittweise zurückfahren – eine Entwicklung, die sich in den kommenden Quartalen in den Daten widerspiegeln dürfte.
Insgesamt konzentrieren sich die Anleger seit den US-Wahlen offenbar voll und ganz auf den fortschreitenden Konjunkturzyklus. Jedoch dürfte das Land in den nächsten Quartalen vor immensen Herausforderungen stehen, weshalb es klug sein könnte, einige Liquiditätspolster im Portfolio vorzuhalten.
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