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September 2021 / MARKETS & ECONOMY

Deutschland: Mit der neuen Regierung dürfte ein wirtschaftspolitischer Kurswechsel bevorstehen

Der Fokus dürfte künftig auf einer grünen Steuerpolitik und einer stärkeren Umverteilung liegen.

Auf den Punkt gebracht

  • Unabhängig davon, wie die Wahl in Deutschland im Einzelnen ausgeht, werden die Grünen in einer neuen Koalition höchstwahrscheinlich vertreten sein.
  • Somit dürfte die kommende Regierung neue Maßnahmen ergreifen, um grüne Technologien vorantreiben.
  • Höhere Ausgaben, aggressivere Zielvorgaben zur Reduzierung der CO2-Emissionen, Steuererhöhungen und eine verstärkte Emission von Anleihen könnten im nächsten Jahr einen Ausverkauf bei Bundesanleihen auslösen.

Die deutsche Wirtschaftspolitik dürfte nach der Bundestagswahl einen neuen Kurs nehmen, da die Grünen voraussichtlich in einer neuen Regierungskoalition vertreten sein werden. Die Grünen verfolgen ehrgeizige Umweltziele, weshalb aggressivere Zielvorgaben zur Reduzierung der CO2-Emissionen, höhere Ausgaben zur Modernisierung der Infrastruktur und eine höhere Besteuerung des Braunkohleverbrauchs zu erwarten sind. Dies könnte im nächsten Jahr bei deutschen Bundesanleihen eine Verkaufswelle auslösen.

Auch wenn der genaue Ausgang der Bundestagswahl am 26. September noch ungewiss ist, dürfte eine Neuauflage einer großen Koalition aus CDU, CSU und SPD so gut wie ausgeschlossen sein. Zwar wäre eine GroKo nach den aktuellen Umfragen rein rechnerisch möglich. Doch die SPD strebt in ihrem Programm eine stärkere Vermögensumverteilung und eine strengere Regulierung des Arbeitsmarktes an, weshalb sie kaum mit der konservativen CDU/CSU koalieren dürfte, wenn sich ihr andere Optionen bieten. Schon 2017 war die Große Koalition nur zweite Wahl, da die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU, den Grünen und der FDP gescheitert waren.

In jedem Fall dürfte die Wahl (...) einen Wendepunkt markieren ...

In jedem Fall dürfte die Wahl am 26. September einen Wendepunkt markieren, da die Grünen höchstwahrscheinlich mitregieren werden. Die neuesten Umfragen deuten darauf hin, dass eine von der SPD und den Grünen geführte Koalition am wahrscheinlichsten ist. Sollte dieses Szenario eintreten, würde dies sicherlich ein Ende der Wirtschaftspolitik der letzten 16 Jahre unter der Regierung Merkel bedeuten. Den Parteiprogrammen zufolge dürfte der Fokus dabei auf einem besseren Zugang zu Sozialleistungen, einer stärkeren Umverteilung und einem proaktiveren Einsatz der Steuerpolitik liegen, um in 20 Jahren das Ziel einer CO2-freien Wirtschaft zu erreichen. Auf europäischer Ebene wollen die Grünen den Wiederaufbaufonds zu einem ständigen Instrument machen, um das Repertoire der EU-Institutionen um ein fiskalpolitisches Instrument zu erweitern.

Inwieweit sich diese Pläne realisieren lassen, wird vom Verlauf der Verhandlungen mit den Koalitionspartnern abhängen. Der unvermeidliche Wechsel hin zu einer Fiskalpolitik, die den umweltpolitischen Umbruch vorantreibt, dürfte jedoch in jedem Fall strukturell nachteilig für Bundesanleihen sein – was in den aktuellen Bewertungen nicht vollständig eingepreist ist.

Vier mögliche Koalitionen

Zum jetzigen Zeitpunkt sehen die Umfragen die SPD mit rund 25% der Stimmen als stärkste Partei, gefolgt von der CDU/CSU (20%), den Grünen (16%), der FDP (13%), der AfD (12%) und der Linkspartei (6,5%). Bemerkenswert sind die starken Schwankungen bei den Umfragen, die in den letzten vier Monaten abwechselnd drei verschiedene Parteien an der Spitze sahen – und bis zum Wahltag dürften weitere Verschiebungen folgen.

Während die Anzahl der theoretischen Koalitionen auf dem Papier unüberschaubar scheint, sehe ich vier Koalitionsmöglichkeiten:

Rot-grüne Koalition (SPD und Grüne)

Möglicherweise erlangen die SPD und die Grünen eine eigene Mehrheit. Sie benötigen nur etwa 46 bis 47% der Stimmen, da Parteien, die an der 5%-Hürde scheitern (d. h. weniger als 5% der Stimmen erhalten), nicht ins Parlament einziehen, sodass ihre Stimmen auf die anderen Parteien umverteilt werden. In der Vergangenheit lag dieser Anteil bei 6 bis 10% der Stimmen. Ich schätze für eine Koalition aus SPD und Grünen die Wahrscheinlichkeit auf etwa 10%

Ampel-Koalition (SPD, Grüne und FDP)

Wenn SPD und Grüne einen dritten Partner brauchen, dürften sie in Verhandlungen mit der wirtschaftsfreundlichen FDP treten. Dabei könnten die Grünen und die SPD die meisten ihrer politischen Ziele möglicherweise durchsetzen, allerdings werden höhere Unternehmens- und Vermögenssteuern mit der FDP kaum verhandelbar sein – ebenso wenig wie eine flexiblere Gestaltung der Schuldenbremse. Dennoch glaube ich, dass SPD, Grüne und FDP eine Einigung erzielten könnten. Daher schätze ich die Wahrscheinlichkeit auf 40% für eine Ampel-Koalition.

Rot-grün-rote Koalition (SPD, Grüne und Linkspartei)

Die Linkspartei ist die Nachfolgepartei der ostdeutschen PDS. Obwohl es in vielen Fragen große Schnittmengen mit der SPD und den Grünen gibt, steht sie doch am linken Rand des deutschen Politspektrums, und ihr Parteiprogramm ist in mehreren Punkten mit der heutigen deutschen Außenpolitik unvereinbar, sodass sich die Linkspartei von all diesen Zielen abwenden müsste. Bemerkenswert ist, dass die Linkspartei in ihrem aktuellen Wahlprogramm umstrittene außenpolitische Aspekte herunterspielt und stattdessen die Überschneidungen mit der SPD und den Grünen hervorhebt. Meiner Auffassung nach beträgt die Wahrscheinlichkeit etwa 15% für eine solche Koalition – während der Markt eine Wahrscheinlichkeit von 5% sieht.

Schwarz-grün-Koalition (CDU und Grüne)

Bis Mitte August erzielte eine schwarz-grüne Koalition in den Umfragen das beste Ergebnis. Den aktuellen Zahlen zufolge dürfte die CDU jedoch nicht stärkste Partei werden. Hauptgrund dafür ist die Tatsache, dass Kanzlerkandidat Armin Laschet relativ unpopulär ist und ihm zu wenig Zeit verbleibt, um daran noch etwas zu ändern. Laschet hatte zuletzt durch einen Rechtsdrift seiner Partei versucht, das Blatt noch zu seinen Gunsten zu wenden. Zugleich bevorzugt er Friedrich Merz als Kandidaten für das Finanzministerium, der in Bezug auf die quantitative Lockerung der Zentralbank und den Wiederaufbaufonds für eine restriktive Haltung steht. Armin Laschet ist allerdings auch bekannt dafür, dass er einen schwierigen Wahlkampf noch umkrempeln kann, weshalb ich für eine schwarz-grüne Koalition eine Wahrscheinlichkeit von 35% sehe.

Die SPD dürfte als Sieger aus der Wahl hervorgehen.

Abb. 1: Mitte-Links überholt die Konservativen

Eine grünere Politik mit höheren Ausgaben und einer stärkeren Umverteilung ist so gut wie sicher

Neue politische Maßnahmen, die den Übergang Deutschlands zu grünen Technologien in den Vordergrund stellen, werden mit ziemlicher Sicherheit Teil der legislativen Agenda der nächsten Regierung sein, unabhängig von der genauen Zusammensetzung der Koalition. Die Grünen streben für die nächsten zehn Jahre 500 Milliarden Euro schwere Ausgaben an, um die Energiewende in Deutschland voranzutreiben, gestützt auf eine Kombination aus Infrastrukturinvestitionen und eine höhere CO2-Bepreisung. Um die ehrgeizigen Ausgabenpläne zu finanzieren will die Partei offenbar die Schuldenbremse flexibler handhaben, die eine zu starke Staatsverschuldung verhindern soll. Zudem wollen die Grünen die Steuern auf Vermögen und hohe Einkommen erhöhen sowie in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit den Mindestlohn auf zwölf Euro pro Stunde, also um 26%, anheben.

... die kommende Regierung [dürfte] neue Maßnahmen ergreifen, um grüne Technologien vorantreiben.

Ob die Grünen ihre ehrgeizigen Pläne durchsetzen können, wird vor allem davon abhängen, ob sie mit der CDU oder der SPD koalieren. Sollte die haushaltspolitisch konservative CDU ihr Partner werden, dürften die Grünen ein ökologisches Übergangsprogramm durchsetzen, dessen Ausmaß allerdings dadurch beschränkt wäre, dass die CDU die Schuldenbremse wieder in Kraft setzen will. Zugleich wird die CDU der Erhöhung des Mindestlohns und vielleicht auch einer gewissen Steuerumverteilung möglicherweise zustimmen, um weniger wohlhabenden Haushalten zu helfen, die höheren Energiekosten zu stemmen. Allerdings dürften die Pläne der Grünen in einer Koalition mit der CDU nur in abgespeckter Form umsetzbar sein.

Ob die Grünen ihre ehrgeizigen Pläne durchsetzen können, wird vor allem davon abhängen, ob sie mit der CDU oder der SPD koalieren.

Das Wahlprogramm der SPD überschneidet sich in vielen Punkten mit den Plänen der Grünen. Den aktuellen Umfragen zufolge dürfte eine rot-grüne Koalition jedoch einen dritten Partner brauchen. Während eine Koalition mit der wirtschaftsfreundlichen FDP weniger Zwänge mit sich bringen würde als eine Koalition mit der CDU und den Grünen, dürfte die FDP einer stärken Besteuerung von Vermögen und höheren Einkommen kaum zustimmen. Hingegen wäre eine grün-rot-rote Koalition sicherlich bereit, die Möglichkeiten für die Umstellung auf grüne Energiequellen und eine stärkere Umverteilung voll auszuschöpfen. Während das Kanzleramt von der Partei mit den meisten Parlamentssitzen besetzt würde (derzeit die SPD), gibt es bei diesen Themen große Überschneidungen in den Programmen der drei Parteien. In dieser Konstellation würde sich die Bundesregierung auf EU-Ebene voraussichtlich für eine stärkere Beschleunigung in Richtung Netto-Null-Emissionen stark machen.

Die Renditen für Bundesanleihen dürften 2022 steigen

Die sich abzeichnende Wende in der deutschen Wirtschaftspolitik hat erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Kapitalmärkte des Landes.

Die neue Regierung dürfte versuchen, die Schuldenbremse aufzuweichen. Der Weg des geringsten Widerstands bestünde in der Finanzierung einer Zweckgesellschaft für grüne Investitionen mit öffentlichen Mitteln. Um von der Schuldenbremse ausgenommen zu werden, müssen die Erlöse von unabhängigen Fondsmanagern verwaltet werden, nicht von der Regierung. Eine andere Option wäre die Aussetzung der Schuldenbremse für ein paar Jahre, um das Risiko einer „Naturkatastrophe“ abzuwenden, was gesetzlich möglich wäre. Ebenfalls denkbar wäre der dauerhafte Ausschluss grüner Investitionen von der Schuldenbremse. Dafür wäre allerdings eine Zweidrittelmehrheit im deutschen Parlament erforderlich – was keiner Regierungskoalition gelingen dürfte. Sollte eine Koalition mit einer Mitte-Rechts-Partei zustande kommen, müssten die Grünen wohl den Weg des geringsten Widerstands gehen. Insgesamt schätze ich den Anstieg der schuldenfinanzierten Ausgaben auf 0,5 bis 1,5% des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr.

Deutschland hat in den letzten Jahren mehr gespart als investiert

Abb. 2: Die Renditen für Bundesanleihen und andere Safe-Haven-Assets sind zuletzt gesunken

Die SPD und die Grünen haben wichtige Versprechen zur Umverteilung und zu einem verbesserten Zugang zu Sozialleistungen gemacht. Um den einkommensschwächsten Haushalten zu helfen, die Kosten der Energiewende zu stemmen, sind höhere Mindestlöhne und sogar eine direkte Umverteilung eine Option. Die SPD hatte in der letzten rot-grünen Regierungszeit Arbeitsmarktreformen auf den Weg gebracht, die eine stärkere Bedürftigkeitsprüfung bei Empfängern von Sozialleistungen und einen Anstieg der Erwerbsbeteiligung der 55- bis 65-Jährigen von etwa 45% in den frühen 2000er Jahren auf heute etwa 75% nach sich zog. Wegen dieser Reformen hat die SPD deutlich an Popularität verloren. Ihr aktuelles Parteiprogramm sieht eine teilweise Rückabwicklung dieser Reformen vor, um die Gunst der Kernwählerschaft zurückzugewinnen.

Insgesamt wird diese Politik erhebliche wirtschaftlichen Auswirkungen haben. Seit Anfang der 2000er Jahre hat Deutschland deutlich mehr gespart als investiert, was nicht nur die Renditen von Bundesanleihen, sondern auch von anderen globalen Safe-Haven-Assets verringert hat. Das grüne Investitionsprogramm will dieses Sparvermögen für höhere Investitionen nutzen. Eine Umverteilung von den bessergestellten auf die schwächeren Haushalte, die tendenziell einen größeren Teil ihres Einkommens verbrauchen, dürfte den Konsum ankurbeln und die Sparquote verringern. Ein stärkeres soziales Sicherheitsnetz dürfte zudem auch zu einem rückläufigen Vorsorgesparen führen. Nicht zuletzt würde die verstärkte Ausgabe von Bundesanleihen zur Finanzierung der Energiewende die Renditen in die Höhe treiben. Im Zusammenspiel könnten diese Maßnahmen im Jahr 2022 einen deutlichen Ausverkauf bei Bundesanleihen auslösen.

Die Folgen für die Aktienmärkte dürften indessen differenzierter ausfallen. Während die Gewinne von Unternehmen in CO2-intensiven Geschäftsfeldern aufgrund der höheren Steuern voraussichtlich sinken, würden Unternehmen, die einen Beitrag zur Energiewende leisten oder in weniger CO2-intensiven Bereichen tätig sind, von einem erwarteten politischen Kurswechsel erheblich profitieren, was sich letztlich in ihrem Aktienkurs widerspiegeln dürfte.

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