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April 2022 / INVESTMENT INSIGHTS

Q&A mit Justin Thomson

CIO für internationale Aktien bei T. Rowe Price

Auf den Punkt gebracht

  • Wir erleben gerade in einer ganzen Reihe von Bereichen – Energie, Lebensmittel und Metalle – eine Rohstoffpreisinflation, die sich völlig von dem Szenario im Jahr 1991 unterscheidet.
  • Inflation ist eines der großen Risiken des Jahres 2022. Wir brauchen einen soliden Rahmen, um die Inflation zu verstehen und zu erkennen, welche Probleme vorübergehend sind – und welche strukturell. 
  • Ich bin trotz der Marktturbulenzen und geopolitischen Spannungen optimistisch, auch wenn auf kurze Sicht weitere Turbulenzen und Volatilitätsschübe zu erwarten sind. 

Justin Thomson war jüngst zu Besuch in Asien. Dort hat er sich mit Kunden aus der Region zu einem Gespräch getroffen. Wir fassen nachfolgend die lebhafte Diskussion zusammen, die in Form von Fragen und Antworten stattfand. 

1. Frage: Justin, können Sie uns erst einmal einen Überblick über die Märkte im ersten Quartal geben und erläutern, wie sich die jüngsten Entwicklungen auf Ihre Prognose für 2022 auswirken könnten? 

Zu Jahresbeginn 2022 gingen viele von uns davon aus, dass es ein Jahr der „Normalisierung“ werden würde. Mit Normalisierung meine ich, dass viele pandemiebedingte Verzerrungen wieder verschwinden – sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite. Wir erwarteten, dass die Unterbrechungen der Lieferketten, insbesondere bei kritischen Fertigungskomponenten wie Halbleitern, 2022 allmählich wieder abklingen, wenn sich die Betriebsbedingungen für die meisten Unternehmen wieder normalisieren. Auf der Nachfrageseite ergriffen die Regierungen und Zentralbanken weltweit in den Pandemiejahren 2020 und 2021 starke, koordinierte Konjunkturimpulse, die, so unsere Erwartung, taktisch wieder zurückgenommen werden. Die Marktbeobachter gingen durch die Reihe weg für 2022 von einem Basisszenario aus, in dem die Geldpolitik normalisiert wird.  

Die starke Post-Covid-Erholung des Gewinnwachstums musste sich zwangsläufig verlangsamen …

Welche Folgen hätte eine solche geldpolitische Normalisierung für die Finanzmärkte? Nun, vor allem steigende Zinsen. Daher gingen wir davon aus, dass sich die Anleihe- und Aktienbewertungen wieder normalisieren und einige Bereiche, die sich 2021 extrem entwickelt hatten, von den Anlegern abverkauft werden. Mit Eintritt in das Jahr 2022 hatten die Finanzmärkte schon ein Quartal hinter sich, in dem die Anleger etwas unruhig wurden. Grund dafür war die Erkenntnis, dass die Inflation im Jahr 2022 doch nachhaltiger sein würde als bisher angenommen. Daraus resultierend ging man davon aus, dass die kurzfristigen Zinsen sowohl schneller als auch stärker angehoben werden könnten, als bisher angenommen – was für überzogen bewertete Aktien eine größere potenzielle Herausforderung darstellen würde. Es wurde zudem erwartet, dass die Normalisierung auch auf das Gewinnwachstum durchschlägt. Die starke Post-Covid-Erholung des Gewinnwachstums musste sich zwangsläufig verlangsamen, trotz der robusten Fundamentaldaten für die Unternehmensgewinne.  

2. Frage: Schien das Jahr 2022 zunächst das Jahr der Normalisierung zu werden, so wurde diese Aussicht leider durch den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine konterkariert. Was bedeuten die tragischen Ereignisse Ihrer Meinung nach für die globalen Märkte? 

Was in der Ukraine passiert, ist eine menschliche Tragödie ungeheuerlichen Ausmaßes, und es wird immense Anstrengungen kosten, das Land nach Beendigung des Konflikts wieder aufzubauen. Unabhängig davon müssen wir aber auch darüber nachdenken, was das für die Finanzmärkte bedeutet. Ich glaube, niemand war auf eine großflächige Invasion Russlands in die Ukraine vorbereitet. In Kriegszeiten werden die normalen Regeln für die Finanzmärkte ausgesetzt. Ich kann mir keine passende Parallele zu dem vorstellen, was wir derzeit erleben. Mit dem russisch-ukrainischen Konflikt hat die Welt ein einschneidendes Ereignis erlebt, auf den ein zweites Ereignis folgte: die entschlossene und geschlossene Reaktion der westlichen Welt, Russland massiv zu sanktionieren.  

Die Wirtschaftssanktionen gegen Russland waren ebenso überraschend wie rigoros. Während der Ausschluss russischer Banken vom SWIFT-Zahlungssystem schon vorher einmal im Gespräch war, kam die Sanktionierung der russischen Zentralbank, mit der ihr der Zugang zu ihren eigenen Reserven verwehrt wurde, doch sehr überraschend. Wir erleben gerade eine neue Form der wirtschaftlichen Kriegsführung, die bisher undenkbar war. Es gibt nicht viele Menschen, die damit gerechnet hatten. 

Ich glaube, dass es eine ganze Weile braucht, bis wir die längerfristigen Auswirkungen der Russland-Ukraine-Krise wirklich verstehen. In Deutschland hat man dafür einen sehr guten Ausdruck gefunden: „Zeitenwende“. Das heißt, dass wir an einem historischen Wendepunkt stehen, der alles verändern wird. Die Welt, wie wir sie uns vorstellen, wird sich durch Putins Krieg gegen die Ukraine sicherlich in einer Weise verändern, die sich kaum vorhersagen lässt. Eine der ersten Veränderungen dürfte die Neuausrichtung der Energiestrategien sein, da Europa versucht, sich unabhängiger zu machen von russischem Öl und Gas. Die Investitionen in erneuerbare Energien dürften sich also beschleunigen, zumal die Umstellungskosten bei anhaltend hohen Energiepreisen sinken. Die russische Invasion hat zudem zur Folge, dass die Verteidigungsausgaben steigen dürften. Insbesondere Deutschland hat sich ausdrücklich für einen Verteidigungshaushalt ausgesprochen, der erstmals zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts beträgt. 

3. Frage: Die unmittelbare Folge der Sanktionen besteht darin, dass die Energiepreise, insbesondere für Öl und Gas, massiv steigen. Das war auch während des Golfkriegs 1991 der Fall. Wie wird sich die Situation weiterentwickeln? 

Wir erleben gerade in einer ganzen Reihe von Bereichen – Energie, Lebensmittel und Metalle – eine Rohstoffpreisinflation, die sich völlig von dem Szenario im Jahr 1991 unterscheidet. Die Art und Weise, wie sich das weiterentwickelt, ist absolut entscheidend. Je länger die Verwerfungen an den Energiemärkten anhalten, desto schwerwiegender sind die direkten, offensichtlichen Inflationsimpulse, die sie auslösen. Das Gleiche gilt aber auch für die Zweitrundeneffekte auf die Industrie und das Dienstleistungsgewerbe. Diese Zweitrundeneffekte werden Deflations- oder möglicherweise Rezessionsimpulse geben. Der Anstieg der Energiekosten gehört deshalb zu den wichtigsten Aspekten, die wir unbedingt berücksichtigen müssen. Auch wenn manche Asset Manager heute viel über Stagflation reden, liegen die Terminpreise für Öl immer doch immer noch unter den Kassakursen. Ich finde, das ist doch ein kleiner Trost. Denn das heißt, dass die Marktakteure mittel- bis langfristig wieder sinkende Rohölpreise erwarten. 

Wir glauben, dass die Inflation ungleich verteilt sein wird. Der Inflationsimpuls beruht nicht allein auf den höheren Öl- und Gaspreisen, sondern auch auf den steigenden Preisen für Lebensmittel, insbesondere Weizen, bei dem 25% des globalen Angebots aus der Ukraine und Russland kommen. Die beiden Länder sind maßgebliche Nahrungslieferanten für den Nahen Osten und Afrika. Die höheren Lebensmittelpreise werden einen unmittelbaren Effekt auf die Inflation haben, der sich negativ auf die allgemeinen Verbraucherausgaben auswirken wird. Die asiatischen Volkswirtschaften, in denen Reis wichtiger ist, dürften davon eher wenig spüren. 

Auch wenn manche Asset Manager heute viel über Stagflation reden, liegen die Terminpreise für Öl immer doch immer noch unter den Kassakursen.

4. Frage: Es wurde viel darüber debattiert, ob der Inflationsdruck nach der Pandemie vorübergehend oder dauerhaft sein wird. Was glauben Sie, Justin?  

Wir brauchen einen soliden Rahmen, um die Inflation zu verstehen und zu erkennen, welche Probleme vorübergehend sind – und welche strukturell oder langfristig. Mit Blick auf die Probleme in den Versorgungsketten gibt es den Satz: „Ein Heilmittel gegen hohe Preise sind noch höhere Preise“. Denn diese schaffen zusätzliches Angebot und senken die Nachfrage, was wiederum die Preise nach unten drückt. Das gilt beispielsweise für Halbleiter und andere elektronische Geräte, Gebrauchtwagen oder andere Dinge, die während der Corona-Lockdowns verstärkt. Denken Sie etwa an Computer, Fahrräder oder Wohnmobile. Die ungewöhnlich stark steigenden Preise für diese Produkte waren im Wesentlichen der Pandemie geschuldet, und sie sollten sich in dem Maße wieder normalisieren, in dem wir lernen, mit dem Coronavirus zu leben. Insgesamt hatten die beispiellosen Konjunkturprogramme in den Jahren 2020 und 2021 einen erheblichen Nachfrageschub im Konsumgüterbereich zur Folge. Wenn diese Anreize wieder zurückgenommen werden, dürften auch die Nachfrageeffekte schwinden. 

Außerdem müssen wir überlegen, wie sich die Pandemie längerfristig bzw. strukturell auf die Inflation auswirkt. Ein wichtiger Aspekt sind die Erwerbsquoten. Viele Menschen haben während der Pandemie ihren Job an den Nagel gehängt – ein Phänomen, das als „Große Abwanderung“ (Great Resignation) bezeichnet wird. So hat sich ein Arbeitnehmermarkt gebildet, insbesondere in technischen Bereichen. Eine höhere Lohn- und Gehaltsinflation bereitet den politischen Entscheidungsträgern daher zunehmend Kopfzerbrechen. Dies könnte zu Zweitrundeneffekten bei den Inflationserwartungen führen und auch zu einem Anstieg der Investitionen, um teurere Arbeitskräfte zu ersetzen. In dem Maße, in dem wir einen Trend zur Deglobalisierung sehen, da die Lieferketten verstärkt lokal ausgerichtet werden, dürfte dies auch auf die Inflation durchschlagen. 

Darüber hinaus stelle ich bei den politischen Entscheidungsträgern und Regierungen eine höhere politische Akzeptanz der Inflation fest, was unter anderem dem Ruf nach mehr sozialer Gerechtigkeit und Teilhabe zuzuschreiben ist. Dies lässt potenziell großzügigere staatliche Ausgaben und eine höhere Bereitschaft für Haushaltsdefizite erwarten. Ich glaube, diese wichtigen strukturellen Veränderungen, signalisieren das Ende der Austeritäts-Ära, die mit der globalen Finanzkrise vor 13 Jahren eingeläutet wurde. Wenn ich mich nicht täusche, erleben wir gerade einen Paradigmenwechsel, und ich glaube, wir müssen in den kommenden Jahren mit einer höheren Inflation rechnen als bisher. 

5. Frage: Ein anderes Top-Thema ist die Zinsdebatte, die sich von der Inflationsdebatte eigentlich nicht trennen lässt. Wie hoch sollten die Zinsen sein? Und wie werden die Zentralbanken auf die aktuellen Ereignisse Ihrer Meinung nach reagieren?

Wenn man die Zinssätze genau einschätzen will, braucht man ebenfalls einen soliden Rahmen. Wichtig dabei sind vor allem die Leitzinsen und deren Bedeutung für die Marktzinsen oder Anleiherenditen. Nach der ersten Zinserhöhung der Fed um 25 Basispunkte auf der März-Sitzung des Offenmarktausschusses erwarten die Märkte für 2022 und 2023 eine ganze Reihe an weiteren Zinsschritten. Die aktuelle Marktsituation gibt mir keinen Anlass, dieser Erwartung zu widersprechen. Außerdem beobachten wir, dass neben der Fed auch andere Zentralbanken sowohl in den Industrieländern als auch in den Schwellenländern weltweit die Zinsen schon erhöht haben oder damit beginnen.  

Was in diesem Zinsumfeld höchst ungewöhnlich war, ist die Tatsache, dass die realen Anleiherenditen zu Beginn des Jahres so niedrig waren wie zuletzt vor 50 Jahren. Es muss sich also etwas ändern. Wenn die Realzinsen zu niedrig sind, müssen entweder die Nominalzinsen und die Anleiherenditen steigen – oder die Inflation lässt nach. Ich erwarte für 2022 eine Kombination aus beidem und halte das Szenario steigender Zinsen und Anleiherenditen für das wahrscheinlichste. Folglich dürften die Anleiherenditen weltweit (mit einigen Ausnahmen wie Japan) von den derzeitigen Niveaus aus stetig ansteigen. In Anbetracht der jüngsten Entwicklung bei 10-jährigen US-Treasuries sind wir dabei schon weiter. Zu beachten ist, dass angesichts des Rezessionsimpulses (insbesondere, wenn gegen Russland weitere Sanktionen verhängt werden) die Renditen für Kurzläufer in den USA wahrscheinlich stärker steigen als die Renditen für länger laufende Papiere, sodass sich die US-Renditekurve umkehren würde. 

Mit Blick auf die Aktienmärkte hat die Geschichte gezeigt, dass sich Aktien in einem inflationären Umfeld bis zu einem bestimmten Punkt oder Schwellenwert, in der Regel einer Inflationsrate von etwa 3 bis 4%, gut entwickeln können. Nur wenn die Inflation über einen längeren Zeitraum hinweg über 4% lag, gaben Aktien tendenziell nach. Vieles wird vom Tempo der Zinsstraffung und von der Robustheit der Volkswirtschaften abhängen. Zuletzt haben wir bereits einen ziemlich deutlichen Ausverkauf erlebt. Alle Aktienmärkte waren im März in den Korrekturbereich gefallen – mit Verlusten von 10% oder mehr, und einige sind sogar in einen Bärenmarkt gerutscht (definiert als einen Rückgang von mehr als 20%).1 Vor diesem Hintergrund ist es schwierig, genau zu sagen, wie sich die Zinsen und die Finanzmärkte wechselseitig beeinflussen werden. In vielen Schwellenländern, wenn auch nicht in allen, scheint der Zinsstraffungszyklus weit fortgeschritten zu sein. Einige wenige, darunter China, stehen möglicherweise sogar an der Schwelle zu einem Zinssenkungszyklus. 

6. Frage: Was raten Sie Ihren Kunden mit Blick auf Investments in den Schwellenländern (EM), die sich in den letzten Jahren enttäuschend entwickelt haben? Was spricht Ihrer Meinung dafür, das Engagement in den Schwellenländern im Portfolio fortzuführen?

Eine Übergewichtung der Schwellenländer hat sich tatsächlich eine ganze Zeit lang nicht mehr ausgezahlt. Dennoch sehe ich nach wie vor sowohl taktische als auch strukturelle Gründe, die für ein Investment in den Schwellenländern sprechen. In den Schwellenländern passiert heute jede Menge, was den Anlegern gefallen dürfte. Diese Einschätzung widerspricht wohl dem aktuellen Narrativ, das an den Finanzmärkten zurzeit vorherrscht. Doch trotz des Schocks, der im Februar nach dem Ausschluss Russlands aus den Schwellenländerindizes über die Märkte schwappte, sehe ich ein taktisches Argument, das für die Schwellenländer spricht, in den attraktiven Bewertungen: Gemessen am Kurs-Buchwert-Verhältnis2 werden Schwellenländeraktien zurzeit so günstig gehandelt wie seit 20 Jahren nicht mehr, mit einem Abschlag gegenüber den Industrieländern von 40%! Wenn man eine solide Vergleichsbasis schaffen will und das branchenbereinigte Niveau betrachtet, so scheinen die Schwellenmärkte heute relativ günstig bewertet.  

Bei den Dividendenrenditen beobachte ich das Gleiche: Sie sind bei Aktien der Schwellenländer rund 40% höher als bei Aktien der Industrieländer – was einer Standardabweichung von zwei entspricht.3 Ein weiteres taktisches Argument betrifft die Geldpolitik. Die Schwellenländer befinden sich insgesamt in einer besseren Position im Zinszyklus als die Industrieländer. Und was die Finanzpolitik betrifft, so ist China die einzige große Volkswirtschaft, die in diesem Jahr maßgebliche Konjunkturpakete plant. Diese dürften vor allem den Volkswirtschaften in Asien zugutekommen. 

... die Geschichte (zeigt), dass sich Aktien in einem inflationären Umfeld bis zu einem bestimmten Punkt oder Schwellenwert (...) gut entwickeln können ...

Meines Erachtens gibt es nach wie vor gute strukturelle Gründe, die für ein Investment in den Schwellenländern sprechen. Das investierbare Anlageuniversum hat sich in den Schwellenländern in den letzten zehn Jahren dramatisch verändert. Die Abhängigkeit von Ressourcen und Rohstoffen ist deutlich gesunken, während Sektoren wie zyklische Konsumgüter, Gesundheitswesen, Technologie und Internet mit steigenden Innovations-, Forschungs- und Entwicklungsausgaben stärker in den Vordergrund rücken. Auch bei den makroökonomischen Haushalts- und Außenbilanzen der Schwellenländer hat es strukturelle Verbesserungen gegeben, die an den Finanzmärkten offenbar unterschätzt werden. In vielen Fällen sind die Währungen der Schwellenländer den vielen Verbesserungen in den Leistungsbilanzen und Zahlungsbilanzen nicht gefolgt. Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, dass man Aktien und Anleihen der Schwellenländer kaufen sollte, wenn ihre Währungen grundsätzlich billig sind. Und wenn man sich die Wechselkursparitäten anschaut, ist das heute der Fall. 

7. Frage: Warum, glauben Sie, wurden chinesische Aktien zuletzt so stark abverkauft? Und worin liegt der Unterschied zu früheren Verkaufswellen? 

Die chinesischen Aktienmärkte gerieten im März erheblich unter Druck, wofür wir verschiedene Gründe sehen. Erstens ist die Sorge der Anleger um die Krise in der Ukraine gewachsen, aber angesichts der Beziehungen zu Russland auch die Sorge um das potenzielle Risiko, dass auch gegen China Sanktionen verhängt werden. Zweitens sind die Bedenken wieder in den Vordergrund getreten, dass chinesische „American Depositary Receipts“ (ADR) von der US-Börse ausgeschlossen werden. Grund dafür war die US-Börsenaufsicht (SEC), die erstmals eine Reihe von ADRs als potenzielle Kandidaten für ein Delisting gemäß dem Holding Foreign Companies Accountable Act (HFCAA) ins Gespräch brachte. 

Nicht zuletzt sorgten kürzlich aber auch Meldungen in Bezug auf die Omikron-Virusvariante für Unruhe, nachdem die Behörden eine Abriegelung in Shenzhen (einem wichtigen Produktions- und Technologiezentrum sowie dem viertgrößten Hafen der Welt) ankündigten – was die alte Sorge um die Lieferketten wieder aufleben ließ. Ich glaube, dass das Zusammenspiel all dieser Faktoren die negative Stimmung kurzfristig weiter eingetrübt und die extremen Kursbewegungen ausgelöst hat. Allerdings glaube ich, dass es einige Faktoren gibt, die von den Anlegern zurzeit übersehen werden.  

In den Schwellenländern passiert heute jede Menge, das den Anlegern gefallen dürfte.

Das Problem des Delistings bei ADRs ist nicht neu, und wir halten es für wichtig, zu bedenken, dass Aktien nicht von heute auf morgen von der Börse genommen werden. Die HFCAA verlangt von den Unternehmen, dass sie die Prüfungsstandards innerhalb von drei Jahren nach der entsprechenden Aufforderung erfüllen. Das ist mehr als genug Zeit für Unternehmen, um sich eine andere Börse zu suchen, ob als Erst- oder Zweitmarkt. Es ist auch wichtig zu wissen, dass viele dieser ADRs bereits eine Zweitnotierung haben. Daher ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Aktien nicht mehr gehandelt werden können. In Fällen, in denen ADRs von der Börse genommen werden, sind die ADRs und die lokalen Aktien uneingeschränkt fungibel, sofern eine Zweitnotierung besteht. 

Zudem hat sich das regulatorische Umfeld angepasst: Als das ADR-Thema wieder in die Schlagzeilen geriet, waren die relativ strengen Anforderungen an der Börse Hongkong eines der Probleme bei der Einführung einer Zweitnotierung. Die Börse in Hongkong hat jedoch ihre Anforderungen an die Börsennotierung gelockert, um Unternehmen die Möglichkeit zu geben, sich entweder in Hongkong notieren zu lassen (sofern sie dies noch nicht getan haben) oder ihre Hauptnotierung in den nächsten Jahren nach Hongkong zu verlegen. 

Der jüngste Verkaufsdruck auf chinesische Aktien scheint also nicht auf „neue“ Entwicklungen zurückzuführen zu sein, sondern auf eine Kombination aus bestehenden Bedenken und negativen Schlagzeilen an einem Markt, an dem die Stimmung ohnehin fragil ist. Frühere Verkaufswellen wurden durch eine Reihe verschiedener Faktoren ausgelöst, konzentrierten sich aber weitgehend auf landesspezifische Themen. Letztes Jahr lag der Fokus der Anleger auf der Regulierung von Sektoren wie Technologie und Online-Bildung. Die neuen Vorschriften zielten darauf ab, die soziale Gerechtigkeit zu fördern, indem wettbewerbsfeindliche Praktiken, hohe Kostenbelastungen und niedrige Löhne angegangen werden. Zudem erlebten wir selektive Verkäufe bei einigen chinesischen Aktien, die auf Mängel in Sachen ESG zurückzuführen waren. 

2021 kämpfte der chinesische Aktienmarkt zudem mit den Bedenken in Bezug auf den Immobilienmarkt, nachdem die Regierung Maßnahmen ergriffen hatte, um eine Überhitzung zu verhindern. Dazu kam die Sorge um ein potenzielles Ausfallrisiko, da sich das Wachstum verlangsamte, und die Bedenken hinsichtlich der Stabilität des Finanzsystems. Dies alles trug zum Ausverkauf des Marktes bei. Hingegen ist der jüngste Ausverkauf ganz anders gestrickt, da er vor allem Offshore-Aktien betraf. In gewisser Weise wurde die negative Stimmung auf dem Markt zu einem Selbstläufer. 

8. Frage: Nach den Regulierungs-Schocks im letzten Jahr wurde mitunter infrage gestellt, ob China überhaupt noch „investierbar“ ist. Was denken Sie darüber, Justin? 

Wir bei T. Rowe Price widersprechen der Auffassung, China wäre nicht investierbar. Und wir glauben, dass man die Potenziale und Chancen des Landes nicht aus den Augen verlieren sollte. Wir beobachten in China eine rasante Erweiterung des investierbaren Universums, und wir finden unter den Large-Cap-Technologie- und Staatsunternehmen wirklich interessante Akteure, die in Sachen Kapitalallokation nachweislich gute Arbeit machen und unseres Erachtens viele interessante Anlagepotenziale aufweisen. Außerdem kann die chinesische Regierung aufgrund der konjunkturellen Lage ihre Wirtschaftspolitik lockern, um das Wachstum zu stützen. Der Kreditimpuls wächst, was sich historisch tendenziell positiv auf den Aktienmarkt auswirkt.  

Einige chinesische Aktien werden mit ein bis zwei Standardabweichungen gegenüber ihren westlichen Pendants gehandelt ...

Nicht zuletzt sind die Bewertungen meines Erachtens im historischen Vergleich, aber auch gegenüber anderen Regionen attraktiver. Einige chinesische Aktien werden mit ein bis zwei Standardabweichungen gegenüber ihren westlichen Pendants gehandelt, und die Geschichte zeigt uns, dass derartige Verwerfungen längerfristige Chancen eröffnen.  

In dieser Zeit der Marktturbulenzen und geopolitischen Spannungen möchte ich unseren Kunden einen letzten Gedanken mit auf den Weg geben: Die Welt geht selten unter! So sicher wie der Tag auf die Nacht folgt, wird auch die Sonne an den Märkten wieder aufgehen. Was die Finanzmärkte allgemein betrifft, so bleibe ich optimistisch, auch wenn kurzfristig weitere Turbulenzen und Volatilitätsschübe zu erwarten sind. 

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