September 2021 / INVESTMENT INSIGHTS
Immobilienmarkt China: Pekings Kampf gegen die Schuldenblase
Die neuen Vorschriften für den Immobiliensektor scheinen die Gefahr von Dominoeffekten einzudämmen.
Auf den Punkt gebracht
- Wir sind zuversichtlich, dass es am chinesischen Immobilienmarkt nicht zu einem unkontrollierten Platzen der Schuldenblase kommen wird und glauben, dass die Probleme bei Evergrande kein systemisches Risiko darstellen.
- Die chinesische Führung hat die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen genau im Blick, weshalb wir keine weitere regulatorische Verschärfung für den Immobiliensektor erwarten.
- Phasen mit erhöhter Volatilität können attraktive Einstiegspunkte schaffen.
Wie geht es weiter mit Evergrande?
Evergrande ist – gemessen an den Geschäftsabschlüssen von 111 Mrd. US-Dollar im Jahr 2020 – der zweitgrößte chinesische Immobilienentwickler. Das Unternehmen hält Marktanteile von 5% des Sektors, der zusammen mit den vor- und nachgelagerten Bereichen der Wertschöpfungskette mehr als 25% der chinesischen Wirtschaftsleistung ausmacht. Vor dem Hintergrund des schnellen Wachstums des Immobilienmarktes, gestützt unter anderem auf das im Fünfjahresplan der Regierung festgeschriebene Ziel der Urbanisierung, verzeichnete Evergrande in den letzten Jahren ein aggressives kreditfinanziertes Wachstum. Von Ende 2015 bis Juni 2021 hat das Unternehmen seine Schulden fast verdreifacht – auf über 300 Mrd. US-Dollar.
Evergrande: die wichtigsten Verschuldungskennzahlen
Abb. 1: Evergrande hat in den letzten Jahren zunehmend einen Schuldenberg aufgebaut
In den letzten Monaten hat sich die Finanzlage von Evergrande zusehends verschlechtert. Um eine ungeordnete Insolvenz abzuwenden und den finanziellen Schaden zu begrenzen, werden Klagen, die gegen das Unternehmen eingereicht werden, auf Beschluss der Aufsichtsbehörden zentral am Gericht in Guangzhou behandelt.
Steigende Renditen für chinesische, USD-denominierte Hochzins-Immobilienanleihen
Abb. 2: Ausländische Investoren werden wegen der geringeren Finanzierungsmöglichkeiten vorsichtig
Politische Maßnahmen sorgen für Spreadausweitung
An den Kreditmärkten sind die Spreads für Immobilienanleihen gestiegen, seitdem die chinesische Regierung im vergangenen Jahr begonnen hat, den Immobiliensektor stärker zu regulieren, beispielsweise durch die Einführung der „drei roten Linien“ für Bauträger bzw. der „zwei roten Linien“ für Banken.
Die „Politik der drei roten Linien“ schreibt vor, dass Immobilienunternehmen bis 2023 bestimmte Grenzwerte einhalten müssen, und zwar in Bezug auf 1. das Verhältnis von liquiden Mitteln zu kurzfristigen Verbindlichkeiten, 2. das Verhältnis von Verbindlichkeiten zu Vermögenswerten (ohne Vertragsverbindlichkeiten) und 3. den Nettoverschuldungsgrad. Mit dieser Politik macht die chinesische Führung deutlich, dass sie von den Immobilienunternehmen eine stärkere Finanzdisziplin verlangt. Parallel soll die für Banken geltende „Politik der zwei roten Linien“ für eine beschränkte Vergabe von Hypothekar- und Immobilienkrediten sorgen, letztlich mit dem Ziel, eine nachhaltig stabile Entwicklung des Immobiliensektors sicherzustellen. Mittlerweile haben die Banken ihre Kreditvergabe an den Sektor bereits vorsichtig angepasst, was für die Immobilienunternehmen eine Verengung der Finanzierungskanäle bedeutet.
Die Politik der drei roten Linien hat sich als erfolgreich dabei erwiesen, aggressivere Wachstumsstrategien chinesischer Bauträger zu bremsen. So ist beispielsweise das Volumen im Land-Banking (der Erwerb von Grundstücken mit dem Ziel ihrer Erschließung) deutlich zurückgegangen – von durchschnittlichen Grundstückskäufen von 39% der Geschäftsabschlüsse im Jahr 2019 bzw. 34% im Jahr 2020 auf 24% im ersten Halbjahr 2021. Seitdem die Politik der drei roten Linien erstmals angekündigt wurde, sind auf breiter Front Verbesserungen zu beobachten. So gelingt es immer mehr führenden Bauträgern, die von der Regierung vorgegebenen „drei roten Linien“ einzuhalten (siehe Abb. 3).
Welche Auswirkungen haben die neuen Vorschriften?
Wir glauben nicht, dass ein Zahlungsausfall von Evergrande ein systemisches Risiko für die chinesischen Kreditmärkte darstellen wird.
Wir glauben, dass ein kontrollierter Schuldenabbau am Immobilienmarkt gelingen kann. Zudem ist die finanzielle Stabilität Chinas durch die aktuellen Turbulenzen unseres Erachtens nicht gefährdet. Auch wenn Evergrande zu den größeren Bauträgern gehört, macht das Unternehmen doch nur einen kleinen Teil des Gesamtumsatzes einer fragmentierten Branche aus. Wir glauben, dass die Folgen der Immobilienkrise für das Bankensystem überschaubar sein werden. Peking dürfte sich indessen vor allem auf die sozialen Folgen konzentrieren, die daraus resultieren, dass angefangene Wohnbauprojekte brachliegen und die Evergrande-Zulieferer auf ihren Forderungen sitzenbleiben. Aktuell werden USD-denominierte Offshore-Anleihen des Immobilienkonzerns zu einem Kurs von etwa 20 bis 30 Cent pro Dollar1 gehandelt, was jedoch vor allem auf die Nachrangigkeit dieser Papiere zurückzuführen ist. Wir glauben, dass Onshore-Anleihen in einem Restrukturierungsverfahren priorisiert werden und die Aufsichtsbehörden die ordnungsgemäße Rückzahlung genau überwachen werden.
Auswirkungen der Regulierung auf große Immobilienentwickler des Landes
Abb. 3: Die staatlich kontrollierten Kennzahlen werden immer häufiger eingehalten.
Die politischen Entscheidungsträger werden zudem die möglichen sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen im Auge behalten. Es sei daran erinnert, dass die Umsetzung von Regulierungsmaßnahmen im Immobiliensektor historisch in verschiedenen Phasen verläuft, beginnend mit Maßnahmen, die negative Marktreaktionen und Vertrauensverluste auslösen, gefolgt von Bemühungen, die Stimmung zu stabilisieren.
Es ist unwahrscheinlich, dass die Regulierung des Immobiliensektors weiter verschärft wird.
Die physischen Marktindikatoren, darunter die durchschnittlichen Verkaufspreise und Grundstücksverkäufe sowie die Zahl der Wohnungsbaubeginne, sind zuletzt gesunken, was einen gewissen Erfolg der Maßnahmen erkennen lässt. Zudem erklärte das Nationale Statistikamt des Landes, dass eine unangemessene Nachfrage durch die Beschränkungen eingedämmt werden konnte. Zugleich gab die Behörde jedoch auch zu bedenken, dass die Folgen für den Immobilienmarkt genau beobachtet werden müssten. Unsere Einschätzung deckt sich mit unseren Gesprächen mit den Geschäftsführungen größerer Immobilienentwickler sowie mit Branchenberatern, die weitgehend ebenfalls der Meinung sind, dass der Höhepunkt der politischen Straffung erreicht ist.
Allerdings gehen wir nicht davon aus, dass die bestehenden Vorschriften nennenswert gelockert werden. Als Teil der Strategie der Regierung, das Risiko im Finanzsystem strukturell zu verringern, wurden die drei roten Linien für Immobilienunternehmen und die zwei roten Linien für Banken als mehrjährige Initiativen eingeführt, die 2023 und 2024 „auf den Prüfstand“ gestellt werden sollen.
Wir gehen davon aus, dass die Anleger am asiatischen Hochzinsmarkt verstärkt zwischen den einzelnen Immobilienentwicklern differenzieren werden.
Durch die Politik der drei roten Linien dürfte sich der Konsolidierungstrend fortsetzen und die Heterogenität des Marktes zunehmen. In den Jahren 2016 bis 2018 waren es vor allem die großen Bauträger, die ihre Marktposition ausbauen konnten. So stieg der Marktanteil der 50 größten Immobilienunternehmen von 36% im Jahr 2016 auf 51% im Jahr 2018, mit einer weitgehend stabilen Entwicklung in den Folgejahren. Da die Regulierungsbehörden ihre politischen Ziele konsequent verfolgen, dürften Bauträger mit überlegenen operativen Abläufen und einem starken Finanzmanagement weitere Marktanteile erobern, während schwächere Akteure vom Markt verschwinden dürften. Unabhängig von der allgemeinen Geldpolitik Chinas wird die Finanzierung des Wohnimmobiliensektors streng kontrolliert werden. Betriebe, die nicht in der Lage sind, die drei roten Linien zu erfüllen, werden in einem angespannten Finanzierungsumfeld besonders unter Druck geraten, weshalb auf kurze Sicht weitere Ausfallereignisse möglich sind.
Auswirkungen auf den Investmentansatz
Wir schätzen die langfristigen Anlagepotenziale für chinesische Hochzins-Immobilienanleihen weiterhin positiv ein und glauben, dass die Umsetzung der „drei roten Linien“, die für eine Entschuldung am Immobilienmarkt sorgen sollen, auf mittlere Sicht das Branchenumfeld und die Unternehmensbilanzen stärken könnten.
Die USD-denominierten Offshore-Anleihen von Evergrande machen 5% des gesamten asiatischen USD-High-Yield-Universums aus.2 Phasen, in denen die Ausfallraten bei Hochzinsanleihen steigen, können zur Folge haben, dass schwächere Emittenten keinen Zugang mehr zum USD-Markt haben. Ein Umfeld mit strafferen Finanzierungsbedingungen dürften nicht alle Immobilienunternehmen problemlos überstehen, weshalb weitere Kreditausfälle folgen könnten. Wir gehen daher davon aus, dass die Volatilität am chinesischen Hochzinsmarkt anhalten wird, was attraktive Einstiegspunkte für ein Engagement in diesem Sektor schaffen könnte.
Bei fundamental soliden Emittenten sehen wir keine längerfristigen Bonitätsprobleme. Zudem schätzen wir das Risiko eines Überschwappens auf die breiteren asiatischen oder internationalen Kreditmärkte als gering ein. Die zunehmende Heterogenität des chinesischen Immobilienmarktes bedeutet unseres Erachtens, dass es entscheidend darauf ankommt, mit umfassenden Bottom-up-Fundamentalanalysen die besten Anlageideen zur Alpha-Generierung zu identifizieren.
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