Juni 2023 / Marktausblick zur Jahresmitte
Marktausblick zur Jahresmitte 2023 – Erstes Thema
Die Konjunkturberichte ergaben in der ersten Hälfte des Jahres 2023 im Allgemeinen ein düsteres Bild. Viele Indikatoren verzeichneten Rückgänge, ähnlich wie vor früheren Rezessionen in den USA.
Eine invertierte Renditekurve der US-Staatsanleihen – mit höheren Renditen für kürzere als für längere Laufzeiten – ist eines der Warnzeichen, die in der Vergangenheit einen Abschwung signalisiert haben, stellt Page fest. Ende Mai lag die Rendite der dreimonatigen US-Staatsanleihen um 188 Basispunkte über der für zehnjährige Anleihen und damit knapp unter dem Anfang des Monats erreichten Allzeithoch.
Diese Rezessionswarnungen könnten jedoch irreführend oder zumindest unvollständig sein, meint Page. In vielen Fällen muss angesichts der drastischen Rückgänge bei Daten wie den Einkaufsmanagerindizes, dem Verbrauchervertrauen und der Geldmenge in den USA berücksichtigt werden, dass sie von den überhöhten Werten ausgehen, die während der Pandemie und in der darauffolgenden Zeit erreicht wurden. „Viele dieser Indikatoren blinken rot, weil wir immer noch dabei sind, die durch COVID hervorgerufenen Verzerrungen abzubauen“, sagt er.
Während der Pandemie, so Page, stiegen die Ersparnisse der Haushalte sprunghaft an, da die Konjunkturmaßnahmen schneller Geld auf die Bankkonten der Verbraucher fließen ließen als diese es
ausgaben.
Jetzt sinken diese Salden. Im historischen Vergleich sind sie jedoch nach wie vor extrem hoch, und die Schuldendienstquoten sind immer noch niedrig.
In der jüngsten Senior Loan Officer Survey der Fed gab fast die Hälfte der Befragten an, dass sie ihre Kreditvergabestandards im Zuge der Bankenkrise verschärft haben – dieses Niveau war in der Vergangenheit auch mit Rezessionen verbunden, wie Page feststellt. Gesunde Verbraucher- und Unternehmensfinanzen könnten die wirtschaftlichen Auswirkungen der Kreditverknappung jedoch abmildern. „Der wichtigste Unterschied ist, dass die Bilanzen jetzt in einer besseren Verfassung sind“, sagt er.
Husain vermutet, dass einige Finanzindikatoren auch irreführende Signale über die kurzfristige Richtung der Leitzinsen der Zentralbank aussenden könnten (Abbildung 2).
Die Zinssätze müssen möglicherweise noch länger höher bleiben
(Abb. 2) Leitzinsen der Zentralbanken
Ende Mai, so Husain, rechneten die Märkte für Zinstermingeschäfte mit mehreren Zinssenkungen der Fed vor Ende des Jahres 2023. Er hält dies für unwahrscheinlich, es sei denn, es kommt zu einer größeren Liquiditätskrise und/oder einem abrupten Abrutschen der USA in eine Rezession.
„Ich denke, der Markt versucht, zwei sehr unterschiedliche Szenarien unter einen Hut zu bringen – eines, bei dem die US-Wirtschaft ziemlich stark bleibt und die Fed die Zinsen nicht senkt, und eines, in der die Dinge schrecklich schief laufen und die Fed die Zinsen um mehrere hundert Basispunkte senken muss“, erklärt Husain. „Das ist das, was der Markt im Durchschnitt einpreist.“
In Europa sind kurzfristige Zinssenkungen sogar noch unwahrscheinlicher, fügt Husain hinzu. Er geht nämlich davon aus, dass die Europäische Zentralbank (EZB) und die Bank of England die Zinsen trotz der wirtschaftlichen Risiken noch mehrmals anheben werden. „Ich bin davon überzeugt, dass die Fed und andere Zentralbanken die Zinsen letztendlich senken werden“, so Husain. „Aber das Timing ist knifflig. Die Zinsen werden noch länger höher bleiben.“
Die Bank of Japan (BoJ) bleibt eine Ausnahme unter den wichtigsten Zentralbanken der Industrieländer, stellt Husain fest, da sie sich immer noch im Modus der quantitativen Lockerung befindet – diese umfasst auch ihre Politik der Begrenzung der Renditen für langlaufende japanische Staatsanleihen. Doch das könnte sich bald ändern, warnt er.
„Wenn die BoJ ihre Zinskurvenkontrolle aufhebt, könnte dies für die Märkte viel wichtiger sein als die Frage, ob die Fed bei ihrer nächsten Sitzung die Zinsen erhöht oder senkt.“
Der anhaltende Inflationsdruck bleibt das Haupthindernis für eine geldpolitische Lockerung, sagen Page und Husain.
Die Kerninflationswerte, die die volatilen Lebensmittel- und Energiepreise ausschließen, bleiben hartnäckig hoch (Abbildung 3). Die Inflation im Dienstleistungssektor tendiert sogar nach oben, fügt Page hinzu. Ein weiterer Energiepreisschock bleibt ein Risiko, insbesondere für Europa.
Die Kerninflation bleibt hartnäckig
(Abb. 3) Verbraucherpreise ohne Nahrungsmittel und Energie, Veränderung ggü. Vj.
„Die US-Inflation wird wahrscheinlich noch eine Weile bei 3%, vielleicht sogar 4%, verharren“, prognostiziert Page. „Eine Inflationsrate von 4% wäre doppelt so hoch wie das Ziel der Fed.“
Das Zusammenwirken mehrerer Faktoren könnte jedoch in der zweiten Jahreshälfte die Finanzliquidität in den USA abwürgen, so Husain, was vielleicht zu einer Änderung des geldpolitischen Kurses der Fed führen könnte.
So wie sich die Zinserhöhungen der Fed noch nicht vollständig auf die Wirtschaft ausgewirkt haben, werden sich auch die Auswirkungen der Bankenkrise auf die Verfügbarkeit von Krediten erst mit einer Verzögerung bemerkbar machen – vielleicht sogar erst nach zwei oder drei Quartalen, meint Husain.
In der Zwischenzeit wird das US-Finanzministerium in der zweiten Jahreshälfte Schulden in Höhe von schätzungsweise 1,4 Billionen USD aufnehmen müssen, um aufgeschobene Zahlungen zu decken und die Barreserven wieder aufzufüllen. Diese Reserven werden auf einem speziellen Konto bei der Fed gehalten, und Geldtransfers auf dieses Konto müssen an anderer Stelle in der Bilanz der Fed ausgeglichen werden – im Wesentlichen schrumpft so die Geldmenge in den USA.
Umfangreiche Staatsanleiheemissionen, eine schrumpfende Geldmenge und die verzögerten Auswirkungen der Kreditverknappung könnten die Liquidität in der zweiten Jahreshälfte gleich dreifach belasten, warnt Husain. Das könnte zu einer Destabilisierung der Märkte führen und auf die Realwirtschaft übergreifen.
Andere große Volkswirtschaften haben laut Thomson in der ersten Jahreshälfte einen willkommenen Beitrag zum weltweiten Wachstum geleistet. Die sinkenden Energiepreise halfen den Volkswirtschaften der Eurozone, eine Rezession zu vermeiden, während China die COVID-Beschränkungen schneller als erwartet aufhob. Ein schwacher Yen hat Japans Exportsektor angekurbelt.
Dieser Schwung hat jedoch weitgehend nachgelassen, stellt Thomson fest. Die chinesische Wirtschaft sei im „zweiten und dritten Gang“ stecken geblieben, was auf eine schleppende Erholung der Verbrauchernachfrage und ein Überangebot im Immobiliensektor zurückzuführen sei. „China braucht ein neues Wachstumsmodell“, argumentiert er.
Die wirtschaftlichen Aussichten Japans wirken dagegen positiver. „Den japanischen Unternehmen geht es recht gut“, so Thomson. „Die Preissetzungsmacht ist zurückgekehrt“.
Die Stärke des US-Dollars war in den letzten Jahren ein hemmender Einfluss für US-Anleger auf den globalen Märkten außerhalb der USA. Doch sowohl strukturelle als auch zyklische Faktoren dürften die Stärke des US-Dollars mittelfristig bremsen, meint Thomson.
Konjunkturell bedingt dürften geringere Zinsdifferenzen und ein laues globales Wirtschaftswachstum andere Währungen stützen – insbesondere die Währungen der Schwellenländer (EM), so Thomson. „In der Vergangenheit war der Dollar in der Regel am stärksten, wenn das Risiko gering war und die US-Wirtschaft sehr stark wuchs“, erklärt er. „In einem eher gemischten Szenario würde man erwarten, dass der Dollar schwächer wird.“
Strukturell begünstigen die relativen Bewertungen auch andere Währungen, fügt Thomson hinzu. Ende Mai lag der US-Dollar beim 96. Perzentil seiner 15-jährigen Bewertungsspanne gegenüber den wichtigsten Industrieländerwährungen1, stellt er fest.
Arif Husain, CFA
Head of International Fixed Income and Chief Investment Officer
Sébastien Page, CFA
Head of Global Multi‑Asset and Chief Investment Officer
Justin Thomson
Head of International Equity and Chief Investment Officer
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